Davias
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Hallo Leute,
Ich schreibe seit einigen Jahren hobbymässig verschiedene Fantasy-Geschichten. Angefangen mit dem Schreiben habe ich - wie könnte es auch anders sein
- mit den Spielen Mystic Quest und Secret of Mana. Die Stories der Seiken Densetsu Reihe haben mich derart angeregt, daß ich selbst zu schreiben anfing. Und im Moment plane ich nach langer Überlegung eine längere Fantasy-Story zu Secret of Mana. Da die Materie in alle ihrer Originalität und ihrer Größe nur schwierig umzusetzen ist, traute ich mich lange nicht daran. Doch ich habe schon einmal eine Art Prolog geschrieben und es wäre nett, wenn ich eure Meinungen dazu hören könnte. Also viel Spaß beim Lesen und ich bin gespannt auf eure Meinungen!
Prolog
Ein kalter Wind fegte über die Schicksalsberge.
Er brachte die eisige Kälte des nördlichen Meeres mit sich und erinnerte trotz des nahenden Frühlings an den Winter, der sich bis jetzt noch standhaft weigerte, der wärmeren Jahreszeit zu weichen. Weit im Südosten, wo die massiven Gebirgszüge den flachen Grasländern wichen, braute sich ein Unwetter über dem Kontinent zusammen. Die grauen Wolkenbänke dort verdunkelten sich zusehends, und es konnte nur noch wenige Stunden dauern, bevor im Süden ein verheerender Sturm über das Land hereinbrechen würde.
Über den Schicksalsbergen waren kaum Wolken zu sehen, doch auch hier drang das Licht der Sonne nicht durch das trübe Grau, das sich wie ein Schleier über den Himmel gelegt hatte.
Der Prophet Lunar stand auf der höchsten der drei Turmplattformen, die aus dem Dach des Tempels ragten. Heftig riß der Wind an seinem langen, weißen Bart. Er hatte sich fest in einen Mantel aus schwarzer Wolle gehüllt, und der nachtblaue Umhang, den er darüber trug, wirbelte hinter seinem Rücken im Wind. Zum wiederholten Male verfluchte er sich dafür, bei diesem kalten Wetter hier heraufgekommen zu sein. Seine alten Knochen schmerzten nach dem Aufstieg die langen Treppen im Inneren des Turmes hinauf.
Der frostige Sturmwind, der die ungeschützte Haut seines runzligen Gesichtes mit eisigem Atem betäubte, trug sein Übriges dazu bei, ihn daran zu erinnern, daß er kein junger Mann mehr war.
Unter normalen Umständen würde er jetzt in seinem warmen Studierzimmer sitzen, und ein Novize hätte ihn bei einem gemütlichen Frühstück über die ersten Geschehnisse des Tages informiert.
Doch irgendetwas hatte ihn heute morgen noch vor Sonnenaufgang aus dem Bett getrieben. Ein unangenehmes Gefühl, das er zwar nicht näher zu beschreiben vermochte, aber das er dennoch zu gut kannte, um es einfach ignorieren zu können. Diese ungute Ahnung war Teil seiner prophetischen Gabe, und er wäre töricht gewesen, wenn er nicht darauf geachtet hätte. Deshalb war er hier herauf gekommen, um der Stimme des fauchendes Windes zu lauschen. Von hier oben aus hatte er trotz des schlechten Tageslichtes einen atemberaubenden Blick über den Tempel und das kleine Dorf darunter, die sich beide wie große, steinerne Lebewesen an die Flanke des Berges in seinem Rücken klammerten.
Vielerlei Sorgen plagten ihn.
Die silbernen Kristallkugeln im Hauptraum des Tempels zeigten seit Wochen nur noch verwaschene, kaum zu deutende Bilder. Das innere Leuchten der Kugeln hatte abgenommen, und keiner der Priester wußte eine Begründung dafür. Tagelang hatten sie gefastet und zu der Göttin des Mana-Baumes gebetet, um eine Erklärung zu erhalten, aber es hatte nichts genutzt. Mit Lunars Träumen war es genauso. Sie waren der essentielle Bestandteil seiner besonderen Fähigkeiten als Prophet des Schicksals, und üblicherweise vergingen nur wenige Tage, ohne nicht mindestens einen Traum. Doch jetzt hatte er seit fast einem Monat nicht mehr geträumt. Es war, als wären die Worte des Mana auf der Welt verstummt.
Nein, verbesserte sich Lunar sofort in Gedanken. Verstummt war das falsche Wort, denn er konnte noch immer sie Essenz der Magie des Mana spüren, deren Energiebahnen reichhaltig über die höchsten Gipfel der Schicksalsberge zogen. Es war eher so, als hätte die mystische Kraft, die die ganze Welt mit ihrer unvorstellbaren Energie erfüllte, den Atem angehalten. Das Mana sammelte neue Kraft für bevorstehende Ereignisse, welche die Welt verändern würden.
Aber wofür?
Ohne den Blick in die Kristalle des Tempels und ohne seine Träume war auch Lunar auf vage Vermutungen angewiesen, was das betraf. War der Mana-Baum in Gefahr? Alleine der Gedanke daran, ließ Lunar noch mehr im eisigen Wind zittern. Er hatte in den letzten Wochen Gerüchte aus den Mündern der Novizen gehört, die von langen Reisen durch entfernte Länder zurückgekehrt waren.
Das Reich von Glaive gewann erneut an Macht und hatte sich bereits über den gesamten nordöstlichen Kontinent ausgebreitet. Der Herrscher der Nordstadt hatte sich zum König ernannt und führte nun Krieg gegen die reichen Stadtstaaten weiter südlich: Jadd, Byzel und die reiche Südstadt. Gestern hatte Lunar sogar gehört, daß eine Gesandtschaft aus Gemma-Rittern zur Südstadt entsandt worden war, um zwischen den Parteien zu vermitteln.
Im Osten des Landes östlich der Schicksalsberge schienen die Tiermenschen unruhig zu werden und ihre wilden Horden verließen den Großen Krater, um die Siedlungen im Wald des Mondes mit Blut und Tod zu überziehen. Es gab Gerüchte, wonach im Königreich Pandoria ein Krieg drohte, und in den Grasländern überfielen immer wieder ungewöhnlich starke Banden aus Minos-Kreaturen die Karawanen, die zu den Küsten zogen.
Das waren für Lunar genug Beweise dafür, daß sich das Land Mana im Umbruch befand. Gewaltige Ereignisse würden bald ihren Anfang nehmen. Und er spürte, daß die ganzen Vorfälle, über die er Berichte erhalten hatte, nur kleine Steine waren, die bald eine Lawine ins Rollen bringen würden.
Vielleicht sollte er Nocturn im Nachtpalast aufsuchen. Mit dem Geist war zwar schwierig umzugehen, aber Lunar war sich sicher, daß auch der Herr der Dunkelheit die nahende Umwälzung fühlte. Doch sogleich verwarf er das Vorhaben wieder. Die Reise zum Palast war lang und beschwerlich, und Nocturn würde ihm wahrscheinlich keinen Rat erteilen können. Selbst wenn er den Geist aus seinem Schlaf wecken konnte, war es ungewiß, ob Lunar von ihm eine genauere Beschreibung der Bedrohung erhalten konnte, die auf die Welt und den Mana-Baum zukam.
Er war der Prophet des Schicksals. Es war seine Aufgabe, der Welt eine Warnung zukommen zu lassen. Aber wie sollte er das tun, wenn er doch keine Ahnung hatte, was kommen würde?
Eine bekannte Stimme schreckte ihn aus seinen tiefen, sorgenvollen Gedankengängen auf.
»Meister! Ihr werdet Euch hier oben den Tod holen!«
Langsam wandte sich Lunar um und blickte in das Gesicht des jungen Novizen Erias, der die Treppe zum Turm hinaufgestiegen war, ohne das er ihn bemerkt hatte. Erias trug ebenfalls einen wollenen Mantel zum Schutz gegen die Kälte, und um seinen Hals hing eine silberne Kette mit einer glänzenden Mondkugel daran. Seine schulterlangen, schwarzen Haare flatterten um seinen Kopf herum. Besorgte, helle Augen musterten die hagere Gestalt des Propheten.
Doch Lunar lächelte und hob beschwichtigend die Hand. Dann sagte er freundlich:»Beruhige dich, Erias. So schnell kommt der Tod noch nicht zu mir. Du hättest nicht auf den Turm kommen müssen. Es reicht, wenn ich dem Wind lausche und die Kälte mir durch Mark und Bein dringt. Du mußt nicht bleiben. Geh nach unten und frühstücke in aller Ruhe. Du hast meine Erlaubnis dazu.«
Erias schüttelte entschieden den Kopf. »Wenn Ihr hierbleibt, werde auch ich dem Wind lauschen.« Im Anschluß, um seine ersten Worte ein wenig zu mildern und Demut zu zeigen, verneigte er sich knapp. »Natürlich nur, wenn Ihr erlaubt, Meister.«
Lunar zuckte mit den Schultern. »Tu, was du willst. Mehr als eine Erkältung wirst du hier oben nicht gewinnen. Und es kann sein, daß ich noch sehr lange hier oben stehen werde.«
Interessiert hob Erias den Blick und sah dem Meister in die grauen, von alter Weisheit erleuchteten Augen. »Sucht ihr im Wind eine Antwort auf die defekten Kristallkugeln im Tempel? Sucht ihr die Antwort in den magischen Strömen der Mana-Energie, die mit dem Sturm zieht?«
»Nein«, antwortete Lunar, wobei er seine Stimme hob, um sich über den Geräuschen des Windes verständlich zu machen. »Ich suche keine Antworten. Ich warte vielmehr darauf, daß sie zu mir kommen. Merke dir eines, Erias: Ein Prophet erhält niemals Antworten, wenn er so begierig danach sucht, wie ihr Novizen die Schriftrollen der Bibliothek nach Wissenswertem durchforscht. Wissendurst ist der schlimmste Feind eines Propheten. Man muß auf seine innere Stimme vertrauen und seinen eigenen Geist für die Prophezeiungen öffnen. Nur dann kann man vielleicht ein kurzlebiges, bruchstückhaftes Bild der Zukunft erfassen und deuten.«
»Aber Wissen ist doch ein fester Bestandteil des Lebens, Meister«, meinte Erias nach einiger Überlegung. »Ohne unser Wissen über vergangene Zeiten und zurückliegende Geschehnisse wären wir doch nichts. Die Gesellschaft wäre nicht überlebensfähig. Ist es nicht das Wissen, das uns Menschen zu dem macht, was wir sind?«
»Ich dachte bei meinen Worten auch nicht direkt an Gelehrsamkeit, sondern eher an das Streben nach der Meisterschaft darin. Es kann einem dabei hinderlich sein, die Macht des Mana zu begreifen. Mana ist in allen Dingen, aber es steht auch hinter allen Elementen des Lebens auf dieser Welt. Und nur wenn man Geist und Herz vollständig öffnet, erhält man vielleicht die Chance dazu, einen Hauch dieser Macht zu verstehen. Die Zauberer dieser Welt sehen nur die weltliche Macht des Mana, die Manifestation in den acht Elementargeistern der Magie, sie blicken nicht hinter das Offensichtliche. Wir dagegen, müssen als Priester und Propheten hinter den Schleier sehen können.«
»Die Priester sagen, die Göttin des Mana wird unruhig in ihrem Schlaf. Etwas beginnt, in die natürliche Weltordnung einzugreifen. Die Gerüchte aus den anderen Teilen des Landes lassen nichts Gutes ahnen. Was kommt auf uns zu, Meister?«
»Ich weiß es nicht, Erias«, gab Lunar nach einem Moment bedrückt zu. »Selbst ich kann nicht oft hinter den Schleier des Schicksals blicken. Und in letzter Zeit verwehrt mir auch etwas den Zugang. Ich scheine unter dem gleichen Fluch zu leiden, wie die Kristallkugeln im Tempel.«
Daraufhin schwieg Erias, und Lunar wandte sich wieder um, während sich der Novize mit den Worten des alten Propheten auseinandersetzte.
Lunar ließ seinen Blick über die grauen Erhabenheiten der Schicksalsberge schweifen, die sich um ihn herum nach allen Himmelsrichtungen ausbreiteten. An den meisten anderen Tagen trug der Anblick der alten Berge dazu bei, seine Stimmung zu heben, aber heute erschienen sogar diese uralten Titanen des Erdgesteins müde, und ihre weißen Kronen aus Eis und Schnee wirkten bleich und schmutzig.
Stumm harrte Lunar auf der sturmumstosten Plattform aus, auch Stunden später als Erias schon längst wieder gegangen war. Das Tageslicht wurde nicht merklich heller, auch als die Sonne höher stieg. Immer noch lag der triste, bleierne Dunst in der Luft, welcher der sonst so klaren Luft der hohen Bergregionen Hohn zu sprechen schien. Im Dorf Destinea unterhalb des Tempels waren nur wenige Leute auf den schmalen Straßen zu sehen. Der trostlose, kalte Tag ließ die Menschen in ihren Häusern bleiben. Jedenfalls vermutete Lunar, daß aus diesem Grund eine so geringe Anzahl an Bewohnern Destineas auf den Straßen umhergingen. Aber vielleicht spürten auch die einfachen Menschen die unergründliche und unsichtbare Hand des Schicksals, die sich nach ihrer Welt auszustrecken begann.
Und irgendwo, tausende von Meilen weiter im Osten, nahm eine Geschichte ihren Anfang, die das Gesicht des Landes Mana auf ewig verändern sollte. Eine tragische Erzählung von Trauer, Leid und Schmerz. Aber auch eine von unvergleichlichem Mut und einzigartiger Hoffnung. Sie begann in einem kleinen, unbedeutenden Ort mit den Namen Quelldorf...
Ich schreibe seit einigen Jahren hobbymässig verschiedene Fantasy-Geschichten. Angefangen mit dem Schreiben habe ich - wie könnte es auch anders sein
Prolog
Ein kalter Wind fegte über die Schicksalsberge.
Er brachte die eisige Kälte des nördlichen Meeres mit sich und erinnerte trotz des nahenden Frühlings an den Winter, der sich bis jetzt noch standhaft weigerte, der wärmeren Jahreszeit zu weichen. Weit im Südosten, wo die massiven Gebirgszüge den flachen Grasländern wichen, braute sich ein Unwetter über dem Kontinent zusammen. Die grauen Wolkenbänke dort verdunkelten sich zusehends, und es konnte nur noch wenige Stunden dauern, bevor im Süden ein verheerender Sturm über das Land hereinbrechen würde.
Über den Schicksalsbergen waren kaum Wolken zu sehen, doch auch hier drang das Licht der Sonne nicht durch das trübe Grau, das sich wie ein Schleier über den Himmel gelegt hatte.
Der Prophet Lunar stand auf der höchsten der drei Turmplattformen, die aus dem Dach des Tempels ragten. Heftig riß der Wind an seinem langen, weißen Bart. Er hatte sich fest in einen Mantel aus schwarzer Wolle gehüllt, und der nachtblaue Umhang, den er darüber trug, wirbelte hinter seinem Rücken im Wind. Zum wiederholten Male verfluchte er sich dafür, bei diesem kalten Wetter hier heraufgekommen zu sein. Seine alten Knochen schmerzten nach dem Aufstieg die langen Treppen im Inneren des Turmes hinauf.
Der frostige Sturmwind, der die ungeschützte Haut seines runzligen Gesichtes mit eisigem Atem betäubte, trug sein Übriges dazu bei, ihn daran zu erinnern, daß er kein junger Mann mehr war.
Unter normalen Umständen würde er jetzt in seinem warmen Studierzimmer sitzen, und ein Novize hätte ihn bei einem gemütlichen Frühstück über die ersten Geschehnisse des Tages informiert.
Doch irgendetwas hatte ihn heute morgen noch vor Sonnenaufgang aus dem Bett getrieben. Ein unangenehmes Gefühl, das er zwar nicht näher zu beschreiben vermochte, aber das er dennoch zu gut kannte, um es einfach ignorieren zu können. Diese ungute Ahnung war Teil seiner prophetischen Gabe, und er wäre töricht gewesen, wenn er nicht darauf geachtet hätte. Deshalb war er hier herauf gekommen, um der Stimme des fauchendes Windes zu lauschen. Von hier oben aus hatte er trotz des schlechten Tageslichtes einen atemberaubenden Blick über den Tempel und das kleine Dorf darunter, die sich beide wie große, steinerne Lebewesen an die Flanke des Berges in seinem Rücken klammerten.
Vielerlei Sorgen plagten ihn.
Die silbernen Kristallkugeln im Hauptraum des Tempels zeigten seit Wochen nur noch verwaschene, kaum zu deutende Bilder. Das innere Leuchten der Kugeln hatte abgenommen, und keiner der Priester wußte eine Begründung dafür. Tagelang hatten sie gefastet und zu der Göttin des Mana-Baumes gebetet, um eine Erklärung zu erhalten, aber es hatte nichts genutzt. Mit Lunars Träumen war es genauso. Sie waren der essentielle Bestandteil seiner besonderen Fähigkeiten als Prophet des Schicksals, und üblicherweise vergingen nur wenige Tage, ohne nicht mindestens einen Traum. Doch jetzt hatte er seit fast einem Monat nicht mehr geträumt. Es war, als wären die Worte des Mana auf der Welt verstummt.
Nein, verbesserte sich Lunar sofort in Gedanken. Verstummt war das falsche Wort, denn er konnte noch immer sie Essenz der Magie des Mana spüren, deren Energiebahnen reichhaltig über die höchsten Gipfel der Schicksalsberge zogen. Es war eher so, als hätte die mystische Kraft, die die ganze Welt mit ihrer unvorstellbaren Energie erfüllte, den Atem angehalten. Das Mana sammelte neue Kraft für bevorstehende Ereignisse, welche die Welt verändern würden.
Aber wofür?
Ohne den Blick in die Kristalle des Tempels und ohne seine Träume war auch Lunar auf vage Vermutungen angewiesen, was das betraf. War der Mana-Baum in Gefahr? Alleine der Gedanke daran, ließ Lunar noch mehr im eisigen Wind zittern. Er hatte in den letzten Wochen Gerüchte aus den Mündern der Novizen gehört, die von langen Reisen durch entfernte Länder zurückgekehrt waren.
Das Reich von Glaive gewann erneut an Macht und hatte sich bereits über den gesamten nordöstlichen Kontinent ausgebreitet. Der Herrscher der Nordstadt hatte sich zum König ernannt und führte nun Krieg gegen die reichen Stadtstaaten weiter südlich: Jadd, Byzel und die reiche Südstadt. Gestern hatte Lunar sogar gehört, daß eine Gesandtschaft aus Gemma-Rittern zur Südstadt entsandt worden war, um zwischen den Parteien zu vermitteln.
Im Osten des Landes östlich der Schicksalsberge schienen die Tiermenschen unruhig zu werden und ihre wilden Horden verließen den Großen Krater, um die Siedlungen im Wald des Mondes mit Blut und Tod zu überziehen. Es gab Gerüchte, wonach im Königreich Pandoria ein Krieg drohte, und in den Grasländern überfielen immer wieder ungewöhnlich starke Banden aus Minos-Kreaturen die Karawanen, die zu den Küsten zogen.
Das waren für Lunar genug Beweise dafür, daß sich das Land Mana im Umbruch befand. Gewaltige Ereignisse würden bald ihren Anfang nehmen. Und er spürte, daß die ganzen Vorfälle, über die er Berichte erhalten hatte, nur kleine Steine waren, die bald eine Lawine ins Rollen bringen würden.
Vielleicht sollte er Nocturn im Nachtpalast aufsuchen. Mit dem Geist war zwar schwierig umzugehen, aber Lunar war sich sicher, daß auch der Herr der Dunkelheit die nahende Umwälzung fühlte. Doch sogleich verwarf er das Vorhaben wieder. Die Reise zum Palast war lang und beschwerlich, und Nocturn würde ihm wahrscheinlich keinen Rat erteilen können. Selbst wenn er den Geist aus seinem Schlaf wecken konnte, war es ungewiß, ob Lunar von ihm eine genauere Beschreibung der Bedrohung erhalten konnte, die auf die Welt und den Mana-Baum zukam.
Er war der Prophet des Schicksals. Es war seine Aufgabe, der Welt eine Warnung zukommen zu lassen. Aber wie sollte er das tun, wenn er doch keine Ahnung hatte, was kommen würde?
Eine bekannte Stimme schreckte ihn aus seinen tiefen, sorgenvollen Gedankengängen auf.
»Meister! Ihr werdet Euch hier oben den Tod holen!«
Langsam wandte sich Lunar um und blickte in das Gesicht des jungen Novizen Erias, der die Treppe zum Turm hinaufgestiegen war, ohne das er ihn bemerkt hatte. Erias trug ebenfalls einen wollenen Mantel zum Schutz gegen die Kälte, und um seinen Hals hing eine silberne Kette mit einer glänzenden Mondkugel daran. Seine schulterlangen, schwarzen Haare flatterten um seinen Kopf herum. Besorgte, helle Augen musterten die hagere Gestalt des Propheten.
Doch Lunar lächelte und hob beschwichtigend die Hand. Dann sagte er freundlich:»Beruhige dich, Erias. So schnell kommt der Tod noch nicht zu mir. Du hättest nicht auf den Turm kommen müssen. Es reicht, wenn ich dem Wind lausche und die Kälte mir durch Mark und Bein dringt. Du mußt nicht bleiben. Geh nach unten und frühstücke in aller Ruhe. Du hast meine Erlaubnis dazu.«
Erias schüttelte entschieden den Kopf. »Wenn Ihr hierbleibt, werde auch ich dem Wind lauschen.« Im Anschluß, um seine ersten Worte ein wenig zu mildern und Demut zu zeigen, verneigte er sich knapp. »Natürlich nur, wenn Ihr erlaubt, Meister.«
Lunar zuckte mit den Schultern. »Tu, was du willst. Mehr als eine Erkältung wirst du hier oben nicht gewinnen. Und es kann sein, daß ich noch sehr lange hier oben stehen werde.«
Interessiert hob Erias den Blick und sah dem Meister in die grauen, von alter Weisheit erleuchteten Augen. »Sucht ihr im Wind eine Antwort auf die defekten Kristallkugeln im Tempel? Sucht ihr die Antwort in den magischen Strömen der Mana-Energie, die mit dem Sturm zieht?«
»Nein«, antwortete Lunar, wobei er seine Stimme hob, um sich über den Geräuschen des Windes verständlich zu machen. »Ich suche keine Antworten. Ich warte vielmehr darauf, daß sie zu mir kommen. Merke dir eines, Erias: Ein Prophet erhält niemals Antworten, wenn er so begierig danach sucht, wie ihr Novizen die Schriftrollen der Bibliothek nach Wissenswertem durchforscht. Wissendurst ist der schlimmste Feind eines Propheten. Man muß auf seine innere Stimme vertrauen und seinen eigenen Geist für die Prophezeiungen öffnen. Nur dann kann man vielleicht ein kurzlebiges, bruchstückhaftes Bild der Zukunft erfassen und deuten.«
»Aber Wissen ist doch ein fester Bestandteil des Lebens, Meister«, meinte Erias nach einiger Überlegung. »Ohne unser Wissen über vergangene Zeiten und zurückliegende Geschehnisse wären wir doch nichts. Die Gesellschaft wäre nicht überlebensfähig. Ist es nicht das Wissen, das uns Menschen zu dem macht, was wir sind?«
»Ich dachte bei meinen Worten auch nicht direkt an Gelehrsamkeit, sondern eher an das Streben nach der Meisterschaft darin. Es kann einem dabei hinderlich sein, die Macht des Mana zu begreifen. Mana ist in allen Dingen, aber es steht auch hinter allen Elementen des Lebens auf dieser Welt. Und nur wenn man Geist und Herz vollständig öffnet, erhält man vielleicht die Chance dazu, einen Hauch dieser Macht zu verstehen. Die Zauberer dieser Welt sehen nur die weltliche Macht des Mana, die Manifestation in den acht Elementargeistern der Magie, sie blicken nicht hinter das Offensichtliche. Wir dagegen, müssen als Priester und Propheten hinter den Schleier sehen können.«
»Die Priester sagen, die Göttin des Mana wird unruhig in ihrem Schlaf. Etwas beginnt, in die natürliche Weltordnung einzugreifen. Die Gerüchte aus den anderen Teilen des Landes lassen nichts Gutes ahnen. Was kommt auf uns zu, Meister?«
»Ich weiß es nicht, Erias«, gab Lunar nach einem Moment bedrückt zu. »Selbst ich kann nicht oft hinter den Schleier des Schicksals blicken. Und in letzter Zeit verwehrt mir auch etwas den Zugang. Ich scheine unter dem gleichen Fluch zu leiden, wie die Kristallkugeln im Tempel.«
Daraufhin schwieg Erias, und Lunar wandte sich wieder um, während sich der Novize mit den Worten des alten Propheten auseinandersetzte.
Lunar ließ seinen Blick über die grauen Erhabenheiten der Schicksalsberge schweifen, die sich um ihn herum nach allen Himmelsrichtungen ausbreiteten. An den meisten anderen Tagen trug der Anblick der alten Berge dazu bei, seine Stimmung zu heben, aber heute erschienen sogar diese uralten Titanen des Erdgesteins müde, und ihre weißen Kronen aus Eis und Schnee wirkten bleich und schmutzig.
Stumm harrte Lunar auf der sturmumstosten Plattform aus, auch Stunden später als Erias schon längst wieder gegangen war. Das Tageslicht wurde nicht merklich heller, auch als die Sonne höher stieg. Immer noch lag der triste, bleierne Dunst in der Luft, welcher der sonst so klaren Luft der hohen Bergregionen Hohn zu sprechen schien. Im Dorf Destinea unterhalb des Tempels waren nur wenige Leute auf den schmalen Straßen zu sehen. Der trostlose, kalte Tag ließ die Menschen in ihren Häusern bleiben. Jedenfalls vermutete Lunar, daß aus diesem Grund eine so geringe Anzahl an Bewohnern Destineas auf den Straßen umhergingen. Aber vielleicht spürten auch die einfachen Menschen die unergründliche und unsichtbare Hand des Schicksals, die sich nach ihrer Welt auszustrecken begann.
Und irgendwo, tausende von Meilen weiter im Osten, nahm eine Geschichte ihren Anfang, die das Gesicht des Landes Mana auf ewig verändern sollte. Eine tragische Erzählung von Trauer, Leid und Schmerz. Aber auch eine von unvergleichlichem Mut und einzigartiger Hoffnung. Sie begann in einem kleinen, unbedeutenden Ort mit den Namen Quelldorf...
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