Rollenspiel Silent Storm (PC)

Doresh

Forenpuschel
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Silent Storm

Entwickler: Nival Interactive
Publisher: JoWood
Release: 2003

Einleitung

Da die SDC momentan in eine religiöse Grundsatzdebatte vertieft ist, wollte ich die Stimmung mal mit etwas Erfreulicherem heben: mit einem WW2-Videospiel!

(Anm.: Ich werde das Spiel hin und wieder mit "Fallout" vergleichen. Damit meine ich in erster Linie die alten isometrischen Teile, nicht den neuen Elder-Scrolls-artigen Teil.)

Story

1943: Der 2. Weltkrieg dauert schon einige Zeit an, und auf beiden Seiten sind erste Anzeichen der Erschöpfung sichtbar.
Um den Ausgang des Krieges zu beschleunigen, haben sowohl Alliierte und Achsenmächte ihr eigenes Eliteteam zusammen gestellt, die in (fast) ganz Europa operieren. Dabei stoßen beide Truppen auf die rätselhafte Organisation "Thors Hammer", die für die Achsenmächte neue Waffen entwickelt - und mit "neue Waffen" meine ich Retro-Terminator-Rüstungen (mehr dazu später)

Der Großteil der Geschichte wird anhand von Dokumente und Protokollen erzählt und nicht unbedingt fesselnd oder packend. Aber damit kann ich aufgrund des Gameplays leben. Apropos...


Die letzte Hoffnung des Westens...

Gameplay

Wer jemals Fallout Tactics (oder ein ähnliches Spiel) gezockt hat, fühlt sich hier schnell zurecht: Man kreiert einen Protagonisten und hat nach einer Einführungsmission Zugriff auf ein HQ, in dem man bis zu 5 andere Charaktere rekrutriert und sie ausrüstet, um dann diverse Missionen zu erfüllen. Hauptziel der meisten Missionen ist die Suche nach "Hinweisen" - in der Regel Mikrofilme, geheime Dokumente oder Personen mit wichtigen Informationen, die man entweder retten oder gefangen nehmen muss. Diese Hinweise führen zu neuen Orten und schalten somit neue Missionen frei. Einige Missionen sind optional, während andere Pflicht sind, um die Handlung forzuführen (und neue Ausrüstung im HQ freizuschalten, wenn ich nicht irre).
Während man sich auf der Karte zu einer Mission bewegt, kommt es hin und wieder Zufallskampf - wobei das kein Zufallskampf im üblichen Sinne ist, weil man sich freiwillig zu ihm hin bewegen muss, um ihn zu starten.


Auf zum fröhlichen Nazi-Mobbing!

Die Charaktere lassen sich in 6 Klassen einteilen:

Engineer: Knackt Schlösser und kümmert sich um Minen und Sprengfallen. Kann Sprengstoff (z.b. TNT) als Granatenersatz verwenden und ist sonst ein durchschnittlicher Schütze.
Grenadier: Sehr gut im Umgang mit Wurfwaffen (vor allem Granaten), und gibt auch mit Automatikwaffen eine gute Figur ab.
Medic: Versorgt Wunden besser als jeder andere und gibt dank seines ruhigen Händchens einen passablen Scharfschützen ab. Ist auch sehr beliebt wegen eines Perks, der die HP der Gegner sichtbar macht.
Scout: Meister im Schleichen und Aufspüren von Gegnern. Recht gut mit Wurf- und Nahkampfwaffen für Sneak Attacks.
Sniper: Als bester Schütze headshottet er auch aus größter Entfernung.
Soldier: Dieser Automatikwaffen-Spezialist fühlt sich am Wohlsten, wenn die Luft mit ordentlich Blei angereichert ist.

Charaktere in Silent Storm sind - Fallout lässt (mal wieder) grüßen - skillbasiert, und die Fertigkeiten erhöhen sich durch häufigen Gebrauch. Die obigen Klassenbeschreibungen spiegeln also nur die Startwerte wider und bedeuten nicht, dass z.B. ein Soldier keine Schlösser knacken kann. Nischenschutz gibt es jedoch durch sogenannte "Perks" (bieten passive Boni), von denen man sich bei jedem Stufenaufstieg eines aus einem Skill Tree auswählt.


Mein Schotte hat die "30er Gangster"-Prestigeklasse

Wie auch in Fallout laufen Missionen zunächst in Echtzeit ab, bis entweder eine Seite einen Schuss abgibt oder man freiwillig in den Kampfmodus wechselt. Ab da wird das Geschehen rundenbasiert, und jede Aktion (außer Waffe wechseln und Gegenstände aufheben Oo) verbraucht mehr oder weniger viel AP (Aktionspunkte). Jede Waffe hat verschiedene Schussmodi, und man kann - ebenfalls wie in Fallout - verschiedene Körperteile anvisieren, was man sehr intuitiv über den Ziffernblock erledigt.

Schussmodi reichen von einem schnellen, aber ungenauen Schuss bis hin zu einem Schuss, der sämtliche AP für einen supergenauen Schuss oder Automatikfeuer (je nach Waffe) verbraucht. Scharfschützengewehre haben mit ihrem Sniper Modus ein eigenes kleines Untersystem, in dem man eine variable Anzahl an AP auch über mehrere Runden investieren kann - sofern das Ziel bis dahin nicht außer Sicht ist.

Apropos Sicht: Silent Storm hat hier einige raffinierte Gameplay-Elemente. So kann man auf Gegner feuern, die nur von einem anderen Partymitglied richtig gesehen werden. Da man selbst keine gute Sicht auf ihn hat, kann man jedoch weder einzelne Körperteile anvisieren noch den Sniper Modus benutzen.
Noch indirekteres Feuer wird durch Lärm möglich: Sofern ein Charakter nicht vorsichtig durch die Gegend schleicht, verursacht er leicht Geräusche und kann dadurch geortet werden, wodurch er als durchsichtige Silhouette erscheint.


Irgendwo lauert der Feind...

Gegner nach Gehör orten ist ja schön und gut, aber was ist, wenn besagter Gegner hinter einer Tür lauert? Immerhin gibt es eine Interrupt-Funktion (führt man eine Aktion im direkten Blickfeld eines feindlichen Charakters aus oder wird von diesem erstmal erspäht, hat dieser Charakter eine Interrupt-Chance und kann dann seine übrigen AP aus der letzten Runde sofort einsetzen), wodurch es riskant wäre, sie einfach zu öffnen (schließlich ist eine einzelne SMG- oder gar Maschinengewehrsalve fast immer ausreichend, um jemanden außer Gefecht zu setzen). Oder was macht man, wenn der Gegner hinter einer Wand ist?
Fürchtet euch nicht, denn die Engine von Silent Storm verfügt über eine vollständig zerstörbare Umgebung! Okay, sie ist jetzt nicht so modern, dass zerstörte Wandstücke durch die ganze Gegend fliegen oder Leute unter sich begraben, aber man kann schon eine Menge lustige Sachen damit anstellen: Mit ausreichend großem Kaliber kann man nicht nur durch Türen oder gar Wände schießen, sondern sogar die komplette Tür zerstören oder ein Loch in die Wand ballern (bzw. sprengen).
Besonders genial wird es in Häuserkämpfen: Treppen sind mindestens ebenso riskant wie Türen, aber glücklicherweise kann man auch durch Böden bzw. Decken schießen. Erzeugt man so ein Loch, kann man dieses auch gleich zum Klettern benutzen!


Wer braucht schon einen Dietrich?!

Bei den Waffen gibt es alles Mögliche. Von Pistolen bis hin zu schweren Maschinengewehren und Raketenwerfern gibt es eine ganze Reihe authentischer WWII-Waffen und ein paar Sci-Fi-haftere fiktive Waffen, vorzugsweise Laser und ähnlichen Kram.

Da wären wir auch schon bei den Panzerkleins: Schwer gepanzerte Kampfrüstungen mit schweren Waffen an den Armen montiert. Sehr langsam und schwerfällig, aber mit enormen Zerstörungspotential und praktisch immun gegen leichte Waffen (Headshots mal ausgenommen). Alles in allem verändert sich das Kampfgeschehen merklich, sobald diese Kerlchen im letzten Viertel des Spiels auftauchen.
Einige Spieler scheinen diese Panzerkleins zu HASSEN, da sie offenbar ultrarealistische WW2-Taktik-RPGs bevorzugen (obwohl Verpackung und Anleitung bereits die Existenz der Panzerkleins spoilern) aber na ja, das hier ist ein fiktives Spiel über eine böse Geheimorganisation, was haben die anderes erwartet? Zudem glaube ich nicht, dass die Engine Fahrzeuge unterstützt, also sind Panzerkleins ein pulpiger Ersatz.

Sehr interessant finde ich das Wundensystem: Nahezu jeder größere Treffer sorgt für eine Wunde. Meist resultiert dies in einer Blutung (wodurch man in jeder Runde weitere HP verliert, bis die Wunde versorgt wird), aber es kann auch durchaus zu schwereren Verletzungen kommen, die etwa die AP reduzieren oder das Hör- oder Sehvermögen beeinträchtigen.
Ebenfalls nett ist, dass man bei 0 HP nicht stirbt. Man muss schon ein Vielfaches der HP anrichten (geht meist nur mit Sprengstoff), um so etwas zu erreichen. Dadurch sterben einem die liebgewonnenen Charaktere nicht so schnell weg, und man kann festzunehmende Spione oder Generäle bedenkenlos über den Haufen Ballern XD

Aber nun zu einigen negativen Aspekten:

- Fertigkeiten erhöhen sich nur durch aktiven Einsatz - zumindest für die eigenen Truppen. Rekruten, die im HQ bleiben leveln mit der aktiven Truppe auf und steigern alle Fertigkeiten, wodurch sie früher oder später bessere Werte haben. Hier ist ein Hack sehr zu empfehlen, wenn man nicht in schräges Grinden verfallen möchte.
- Als Resultat dieses Fertigkeits-Features haben vor allem Engineers und Medics Probleme, ihre Fertigkeiten hoch genug zu halten. Von daher gibt es im HQ jede Menge spezialisierte Ausrüstung, für die sie im normalen Spielverlauf wohl nie die nötigen Mindeswerte erreichen. Glücklicherweise ist das Spiel sehr Mod-freundlich.
- Die KI lässt sich ein wenig Zeit, wenn sie an der Runde ist. Größere Gefechte mit vielen Feinden und Verbündeten dauern daher ein bissel länger.

Wer diese Probleme beseitigt (bzw. etwas Geduld hat), hat ein rundum zufriedenstellendes Taktik-RPG mit einigen herausfordernden Gefechten.

Grafik

Das Spiel sieht (wohl dank des normalen Zoomlevels) noch sehr passabel aus, auch wenn es glaub ich nicht immer optimal gecodet ist (gibt hin und wieder Ruckler in "explosiven" Situationen).


Das war vielleicht etwas zu explosiv...

Dank des zerstörbaren Terrains gibt es einige nette Physik-Effekte: Die Flugbahnen aller Projektile werden einzeln berechnet (Fehlschüsse verpuffen also nicht in der Luft, sondern landen meist in der nächsten Wand), und es gibt jede Menge Ragdoll-Effekte. Es wird jedenfalls nicht so schnell langweilig, einen Gegner niederzuballern und zu sehen, wie er über einen Tisch fliegt, durchs Fenster kracht und ein, zwei Stockwerke in die Tiefe stürzt XD
Diese Ragdoll-Effekte haben jedoch auch einen Nachteil: Bei jedem erledigten Charakter pausiert das Spiel einen Moment und wartet, bis all seine Ausrüstung (sowie natürlich sein Körper) mit Herumkullern aufgehört hat.

Ansonsten ist das Spiel sehr gut in Szene gesetzt.

Sound

Explosionen und Schüsse klingen sehr befriedigend, und der Soundtrack besteht aus typischer "Epischer Weltkriegs-Orchestermusik (tm)".
Die Sprachausgabe hingegen... ohje :kicher:

Sagen wir mal so: Mein schottischer Hauptcharakter klingt wie jemand, dem man besser keinen spitzen Gegenstand geben sollte, jeder seiner Kumpanen (naja, eigentlich ja JEDER Charakter im Spiel) klingt wie ein wandelnder Stereotyp, und ich erwarte eigentlich jeden Moment ein Cameo von Tommy Wiseau. Mit anderen Worten: Die Sprachausgabe ist so schlecht, dass sie wieder gut ist XD !

Aber eine gute Sache gibt es noch: Bei vollen Automatiksalven stoßen die Charaktere gerne Reb-Brown-Kampfschreie aus :lol: !

Killerspiel-Potential

Das Spiel erlaubt es, die Kampagne aus Sicht der Achsenmächte zu spielen, und man wird durch das Töten von Menschen belohnt, und es gibt so gar Zivilisten (die aus irgend einem Grund sehr anhänglich sind Oo). Von daher gebe ich dem Spiel 10 von 10 zersägten Schulmädchen :teuf:


Seht nur, wie gewaltverherrlichend Headshots aussehen!


Silent Storm: Sentinels

Dieses Addon spielt zwischen WW2 und dem Kalten Krieg. Die Weltregierungen hatten keine Verwendung mehr für ihre kleinen Eliteteams, wodurch diese eigene Agenturen gegründet haben (wodurch nun auch ehemalige Feinde zusammen arbeiten).

Die wichtigste Neuerung ist Geld: Da man nun nicht mehr direkt für eine Regierung arbeitet, erfüllt man Missionen nur gegen Bezahlung und muss alle Gegenstände im HQ selbst bezahlen. Für Geld kann man auch Skills erhöhen, wodurch obiger Hack nicht mehr so dringend ist.

Auch das Gameplay wurde etwas aufgefrischt: Panzerkleins wurden generft, ein Waffenwechsel kostet jetzt auch AP, Waffen können mit der Zeit verschleißen und verklemmen und man kann sich endlich mit diversen Schutzwesten eindecken. Im Gegenzug haben alle Waffen jetzt einen Wert der angibt, wie gut sie Rüstung durchdringen können.

Alles in allem eine schön kapitalistische Erweiterung ;)

Fazit

Du mochtest das alte Fallout-Kampfsystem? Dann freue dich, denn dieses Spiel ist wie für dich gemacht :D !

Allen anderen Taktik-Fans kann ich es auch empfehlen. Ein wirklich motivierendes Mitglied dieses vor allem auf dem PC seltener gewordenen Genres mit einigen netten Ideen.
 
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