Alltagsrassismus in Bautzen
Woher der Hass kommt
Nazizonen in der Innenstadt, Rechtsradikale mit tätowierten Fratzen: In Bautzen regt das kaum jemanden auf. Warum nicht? Das fragte sich ein Team von Wissenschaftlern und zog zur Feldforschung nach Sachsen.
Es war ein Samstagabend im Februar 2016, an dem die sächsische Kreisstadt Bautzen deutschlandweit Schlagzeilen machte. Die Sirenen schrillten. Feueralarm.
Der "Husarenhof", ein Stadthotel, in dem Flüchtlinge unterkommen sollten, stand in Flammen. Schnell war klar: Hier haben Brandstifter Feuer gelegt. Aber wer, das wusste niemand. Klar war zu diesem Zeitpunkt nur: Ein paar Jugendliche behinderten die Löscharbeiten und riefen: "Ausländer raus". Schaulustige jubelten, während die Flammen den Dachstuhl zerfrassen.
Ein paar Wochen später besuchte der damalige Bundespräsident Joachim Gauck die Stadt. Auf der Straße wurde er angepöbelt: "Volksvertreter verschwinde".
Einen Monat später erschien ein Hetzvideo im Netz. Ein 29-Jähriger aus Bautzen hatte es auf seiner Facebook-Seite hochgeladen. Ein Busfahrer begrüßt die Gäste: "Alle Ausländer sofort einsteigen. Wir fahren nach Auschwitz."
Heute ist die Tür des Hotels zugemauert, aber vergessen ist die Brandnacht nicht.
Anfang 2017 beschlagnahmte die Staatsanwaltschaft ein Video. Es zeigt einen Dachdecker, der die Ruine besichtigt und kommentiert: "Kameraden, Sieg Heil! Gute Arbeit geleistet." Dann ein Schwenk von den verkohlten Holzbalken zu dem Teil des Gebäudes, der den Flammen widerstand: "Das können sie noch bewohnen, die Kanaken."
Woher kommt der Hass? Wie kann es sein, dass er sich hier entfaltet, in einem Landkreis mit nur zwei Prozent Migrantenanteil? Das fragte sich ein vierköpfiges Team von Wissenschaftlern im Auftrag des Instituts für interdisziplinäre Konflikt- und Gewaltforschung der Uni Bielefeld. Zwei Doktoren der Soziologie, eine wissenschaftliche Mitarbeiterin und eine Masterstudentin mieteten für zwei Monate eine Wohnung in Bautzen, das eigentlich ein idyllischer Ort an der Spree ist: 40.000 Einwohner, mittelalterliche Gässchen und Menschen, die an einem sonnigen Tag gemeinsam im Café sitzen.
Doch spätestens seit dem Brandanschlag hat die hübsche Fassade Risse bekommen. "Rechtes Denken ist hier gesellschaftsfähig", sagt Ina Schäfer. Sie studiert in Kassel Empirische Bildungsforschung und ist für ihre Masterarbeit nach Bautzen gekommen. Forschungsfrage: "Wie beeinflussen Konflikte zwischen Rechtsextremen und Flüchtlingen die Zivilgesellschaft?" Ina will verstehen, woher der Hass kommt.
In Bautzen gibt es Menschen, die auf dem Stadtfest Affengeräusche machen, wenn eine Gruppe Flüchtlinge an ihnen vorbeigeht. Niemand greift ein. Niemand widerspricht. Vielleicht, weil sich keiner traut, etwas zu sagen. Vielleicht, weil das einfach nichts Besonderes ist - weil man das hier so macht.
Ina selbst ist im Ruhrgebiet aufgewachsen, Multikulti gehöre dort dazu, sagt sie. Offene Ausländerfeindlichkeit sei ihr fremd. Deshalb war es ihr und ihren Kollegen so wichtig, vor Ort zu recherchieren. "Erzählungen reichten nicht." Mittlerweile kennt sie die Kopfsteinpflastergassen der Stadt, war in Schulen, in Kneipen und hat mehr als 30 qualitative Interviews mit den Bürgern geführt.
Kampf gegen rechts ist frustrierend
Was sie besonders überrascht: Die Rechten Bautzens verstecken sich nicht in Kellerkneipen. Sie sitzen Bier trinkend auf der Terrasse eines Cafés. Jugendliche pöbeln vorm Einkaufszentrum Geflüchtete an und drehen Rechtsrock laut auf. Graffiti erklären Ecken in der Innenstadt zur "Nazi Zone". Glatzköpfige Männer, in deren Nacken Fratzen tätowiert sind, tragen ganz selbstverständlich Shorts der Marke "Thor Steinar", die als Erkennungszeichen der rechtsextremen Szene gilt. In den Augen vieler Anwohner scheint das nicht mal problematisch zu sein. Szenen wie diese gehören zum Alltag. Ina findet das gruselig. "Ich empfinde diese Leute als Bedrohung."
Und nicht nur sie:
Natürlich gibt es in Bautzen auch Menschen, die für Toleranz stehen und alles dafür geben, eine freundliche Willkommenskultur zu schaffen. Aber die, die Sprachkurse leiten oder Patenschaften übernehmen, tun das oft leise. "Es gibt Leute, die wollen nicht, dass ihr Nachbar weiß, dass sie sich engagieren", sagt Ina. Zu groß ist die Angst vor Anfeindungen. Manch ein Interviewpartner hat in der Vergangenheit Drohbriefe und -mails erhalten. Das erschwert den ohnehin schon frustrierenden Kampf gegen rechts zusätzlich. In Bautzen, so scheint es, gleicht er einem Kampf gegen Windmühlen.
Ina berichtet von einem Interview mit einer Sozialarbeiterin, die einen Jugendtreff leitet. "Rechtssein ist wie ein Modetrend", hat diese der Studentin erklärt. "Der Treff versucht aufzuklären und mit den Jugendlichen ins Gespräch zu kommen." Aber: zu wenig Personal. Zu wenig Zeit. Zu wenig Geld.
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