so hier noch mal was, von der gleichen person, ich find ihren schreibstil einfach nur klasse und gut zu lesen, naja, ich selbst bin im moment wohl eher etwas faul, sommerloch eben, so unkreativ, mal sehen wann mal wieder was neues von mir kommt.
Der Tod als solcher
Eine Kurzgeschichte von Janina Radny
England, 18. Jahrhundert ...
Seit ich tot bin, sehe ich die Welt mit anderen Augen.
Das heißt, eigentlich sehe ich nur diesen dummen, nervtötenden
Sargdeckel in seiner spröden, marmornen Öde. Wenn ich ihn mit drei Worten
charakterisieren soll, dann werde ich ganz schlicht und einfach sagen: ER IST BLÖD.
Doch eigentlich ist nicht der arme Stein schuld, sondern viel mehr
diejenigen, die ihn über mir geschlossen haben, denn sie sind schuld, wenn ich
mir immer und immer wieder nur seine ewig stetig gleichen, langweiligen
Sprünge, Wellen und winzige Unebenheiten ansehen darf.
Ich möchte mich ja nicht vulgär ausdrücken, doch zu meinen Lebzeiten -
oh, wie lange ist es her - hörte ich bei Seemännern einen Ausdruck, der mir
anno dazumal die Ohren rot werden ließ, doch heutzutage als die einzig
treffende Bezeichnung erscheint.
Der Zustand, in dem ich bin, also der Tod als solcher, ist zum Kotzen.
Mein Kichern klingt wie das einer pupertierenden Bauernmagd, wenn ich
diesen verbotenen Ausdruck so laut vor mich hin murmle und keiner bestraft
mich. Tot zu sein ist komisch.
Das heißt, vielleicht bin ich gar nicht tot. Obwohl das ziemlicher
Blödsinn ist, denn warum würde ich dann, zum Henker noch mal, in diesem dummen
Sarg unter diesem hohlen Marmordeckel liegen? Aber ich muß wirklich sagen, der
Tod ist nicht so, wie ich ihn mir, und jeder andere sicher auch, vorgestellt
hatte.
Manche erzählen vom Tod wie vom Schlaf ("Er ist entschlafen" obwohl man
bei manch einem Zeitgenossen wohl eher von "entschnarcht" reden müsste),
andere erzählen von einem riesigen schwarzen Loch, ungeahnter Kälte und so
weiter (sehr theatralisch) und dann sagen noch manche diesem seltsamen Phänomen
ungesehene Glückseligkeit und ewigerhaltende Freude im Spielgarten irgendeines
paradoxen Gottes nach, aber nur die Toten wissen wohl, wie er wirklich ist.
Langweilig.
Mir ist sterbenslangweilig.
Da ich schon tot bin, ist das ein lustiges Wortspiel. Schon wieder was
gelernt.
Ich denke, ich werde noch eine Weile drüber nachdenken und mit dem
Gedanken spielen - vielleicht kommen mir sogar neue Geistesblitze (Ha! Schon
wieder ein Wortspiel!) - und ihn dann zu den anderen in die dunkle, viel zu volle
Kiste ausgedachter Gedanken werfen, wo ich all diese gründlich zerkauten,
verdauten und wieder ausgespien Ideen hintue.
Ob Gedanken wohl sterben, wenn man sie nicht mehr denkt?
Und wenn ja, ob sie wohl den selben Tod sterben wie wir?
Kreis, Windung, Welle, Welle, Linie, Windung, Linie, Abzweig, Abzweig,
Welle... Nein, Windung.
Ich muß wohl diesen Strich, der sich direkt über meiner Nasenspitze
schlängelt noch länger studieren, bevor ich ihn auch mit geschlossenen Augen
genau rezitieren kann.
Ich habe die Nase so unendlich voll vom Totsein.
Wirklich.
Ich denke, ich werde diesen verfluchten Sargdeckel ganz einfach zur
Seite schieben, aus diesem blöden Sarg klettern und mir den Mond ansehen.
Der ist bestimmt interessanter als dieser ewig gleiche Sargdeckel.
"Die verzweifelte Flucht einer Leiche"... Mein Gott, wie
melodramatisch.
Außerdem liege ich ohnehin unbequem.
Gesagt, getan. Schön wär’s. Dieser Sargdeckel ist ganz schön schwer,
aber wenn ich mit meiner ganzen Kraft dagegen stemme, bewegt er sich etwas.
Meine Güte, das wird noch die ganze Nacht dauern.
Aber das ist mir jetzt egal.
Dieser Deckel geht mir langsam gewaltig auf die Nerven.
Ah...! Wie kühl und frisch und unverbraucht die Luft in dieser Gruft
ist! Ich bin wirklich froh, dass meine Familie sich ein Mausoleum leisten
konnte.
Nicht auszudenken, was geschehen wäre, wäre ich bei lebendigem - Pardon
- totem Leib begraben worden. Ob heute der Tag der Wortspiele ist?
Noch einige andere steinerne Marmorsärge sind um mich in der Gruft,
doch darin ist Stille.
Keiner der anderen Toten ist so unruhig wie ich und schiebt einfach den
Sargdeckel fort, um sich den Mond anzusehen. Vermutlich bin ich einfach
übersensibel. Vermutlich benehme ich mich einfach wie das halberwachsene Kind, als das
ich gestorben bin und weiß noch nichts davon, dass es sich für einen Toten
einfach nicht schickt, wieder aus seinem Sarg zu klettern wie ein Lebender und
durch die Gegend zu spazieren.
Fast höre ich ihre Stimmen: Das geziemt sich nicht für eine (tote)
Dame, also leg’ dich bitte wieder dorthin, wo du hingehörst.
Aber ICH! ICH! habe die Nase voll vom Tot sein, zische ich sie an und
strecke ihnen reihum die bleiche Zunge entgegen.
Und prompt verstummen die Stimmen, geziert, schockiert und beleidigt.
Mein ungehöriges, für Tote unangemessenes Verhalten gefällt ihnen nicht und so
beschließen sie - ganz die feine Gesellschaft - mich, das Schmuddelkind,
einfach zu ignorieren.
Macht doch was ihr wollt, murmle ich, nicht minder gekränkt.
Spießer.
Es ist schwerer, als ich dachte, aus dieser Gruft herauszukommen, aber
wo ein Wille ist, ist grundsätzlich auch ein Weg, sage ich mir und so stehe
ich nun - den steinernen Engelsarm, mit dem ich das Fenstergitter aufstemmte
noch in der Hand - endlich wieder draußen in der Freiheit.
Ahhhhhhh........! Wohl kein Lebender kann jetzt meine Erleichterung
nachempfinden, wenn ich Luft in meine spröden, toten Lungen einsauge und
endlich, endlich diesem Sargdeckel entkommen bin.
Und da! da ist er! Der Mond! Oh, silberner Himmelsbote, wie sehr hast
du mir gefehlt!
Sein Licht ist wie Balsam auf meiner Haut und seine Schönheit bringt
mich beinahe zum weinen.
Mir ist nach tanzen zumute.
Die Nachtluft, die in ihrer dunklen, nur vom Mondlicht erhellten Süße
an meinem Körper streichelt, macht mich übermütig und schickt mir einfältige
Einfälle und ich habe plötzlich unglaubliche Sehnsucht nach meinem Haus,
meinem Zimmer, meiner Heimat.
Ich werde ihnen einen Besuch abstatten.
Gewiss werden sie sich darüber freuen.
Gewiss werden sie bereits meine Ankunft erwarten.
Gewiss doch.
Von meinem neuen zu meinem alten Heim, vom Friedhof zum Haus, ist es nur
eine kurze Wegstrecke.
Der Mond - wie ungeahnt silbern und wunderschön ist sein von Sternen
zerfurchtes Anlitz. Mutter Mond, du schönste am Himmel, ich bin wieder da! -
hat sich nur einen Fingerbreit weiter bewegt, als ich den Weg zum Herrenhaus
einschlage und nun schließlich und letztendlich wieder vor der so vertrauten,
so geliebten Tür stehe, jener Tür zur wahren Glückseligkeit.
Und heute muß ich nur den Türklopfer dreimal gegen das dunkle Holz
schlagen, um Einlaß zu bekommen.
Dunkel hallt der Ruf des bronzenen Löwen durch die stillen Räume und
ein aufgeregter Schauer läuft über meine kühle Haut.
Sie werden sich wirklich, wirklich freuen, da bin ich mir sicher.
Aber nichts rührt sich.
Wollen die mich etwa hier stehen lassen?
Ich klopfe erneut, lasse den Löwen gegen die Tür schlagen und dumpf
schallt von drinnen das Echo. Ungeduldig warte ich, doch all meine Ungeduld
verfliegt, als endlich die verschlafenen Schritte unserer verschlafenen
Haushälterin ertönen.
Vor Ungeduld und Erwartung beiße ich mir auf die Unterlippe und ein
schelmisches Grinsen ist einfach nicht zu unterdrücken. Zum Teufel mit den guten
Manieren, mir ist nach feiern zu Mute.
Da öffnet sich die Tür und das vom Schlaf verquollene Gesicht der
meiner Amme taucht dahinter auf. Ich setzte mein allerschönstes Sonntagslächeln
auf und strahle ihr entgegen.
Als sie mich erblickt, erbleicht sie vor Überraschung und schlägt die
Hände vor den Mund.
Grüße, meine Amme, ich bin wieder hier!
Doch anstelle einer Begrüßung ertönt plötzlich ein markerschütternder
Schrei, der mir so sehr in den Ohren dröhnt, dass ich sie mir zuhalten muß.
Der Schrei will gar nicht mehr aufhören, immer neue Anfälle in immer anderen
Oktaven erschüttern die heilige Nachtstille und ich keife sie an, sie solle
endlich den Mund halten.
Erkennt sie mich denn nicht?
Das Poltern von oben und aus allen Winkeln verkündet, dass sie mit
ihrem Gebrüll das ganze Haus aufgeweckt hat.
Und da kommt auch schon mein Vater, einige Bedienstete und in einiger
Entfernung meine Mutter im Schlepptau. Na endlich werden sie dieses
Mißverständnis aufklären.
Ich strahle meinen Vater mit dem herzzerreißendsten Lächeln an, das ich
für diese geliebte Autorität im albernen Morgenmantel auf meine Lippen
zaubern kann und will freudig mitteilen, dass ich wieder zu Hause bin.
Doch meine Worte gehen in weiterem Geschrei unter, mein Vater brüllt
etwas und geht mit Hilfe eines Dieners und eines Spazierstocks auf mich los.
"Widergänger! Widergänger!"
Diese harten Worte treiben mir die Tränen in die Augen, doch ich habe
keine Zeit, in Schluchzen auszubrechen, denn schon muß ich seinem Haudegen
ausweichen.
Ich schlüpfe ins Haus und will mich hilfesuchend an meine Mutter
wenden, doch auch sie hat nur hysterisches Kreischen für mich übrig und weicht vor
mir zurück.
Sind hier denn alle übergeschnappt?
Ich bin es! will ich rufen. Ich! Ich! Erkennt ihr mich denn nicht?
Doch aus meinem Mund kommt nur Krächzen und in ihren Augen steht nur
Entsetzen.
Oh Gott, wenn ich könnte, würde ich jetzt zu weinen beginnen.
Sind sie denn so blind?
Vor Wut schnappe ich mir eine der schweren Porzellanvasen, die meine
Mutter aufstellen ließ, und schleudere sie mit aller Gewalt auf dem Boden, dass
sie klirrend in tausend und abertausend Teile zerspringt.
Mein Schrei klingt so unmenschlich und ich sehe, wie sie durch dieses
Geräusch nur noch mehr zurückweichen und ich kann doch nicht aufhören und ich
wünsche mir nichts mehr, als dass dieses Spiel endlich aufhört und ich fange
an bitterlich zu weinen und will mich verzweifelt im Arm meiner Mutter
verstecken und plötzlich ist da dieses Kreuz und...
... und ...
... und ich werde müde.
So müde.
Aber ich darf jetzt nicht müde sein.
Nicht jetzt.
Ich werfe ihr, die mich geboren und geliebt hat, die um mich geweint
und mich zu Grabe getragen hat, einen flehenden Blick zu, während der Diener
mir das Kreuz vor Augen zwingt.
Eine silberne Perle rollt aus meinen Auge.
"Mutter...!"
Dann sterbe ich erneut.
Mir bleibt nichts anderes als zu seufzen, als ich wieder erwache und schon
wieder diesen scheußlichen Deckel über mir sehe.
Gefährten in Ewigkeit, was?
Na toll.
Er antwortet nicht einmal.
Jetzt bleibt mir nichts anderes übrig denke ich, als die Augen zu
schließen und eine Runde zu schlafen.
Ein paar Jahrhunderte, schätze ich.
Oder so.
Mein Gott, ich kann nur hoffen, dass es Wiedergeburt gibt.
Schei**.